Die Baugesetzgebung vieler Kantone und Gemeinden bezieht sich bei der maximal zulässigen Gebäudehöhe auf die Höhe des «gewachsenen Geländes», also auf die ohne baulichen Eingriff entstandene Geländeoberfläche. In Bauverordnungen wird diese als «Massgebendes Terrain» bezeichnet. Bei Bauten auf der sprichwörtlichen «grünen Wiese» ist die Feststellung des natürlichen Geländes einfach. Hingegen wurde das Terrain besonders in Hanglagen mit Strassen, Terrassierungen und Bauten derart umgestaltet, dass seine ursprünglich gewachsene Form heute nicht mehr erkennbar ist.
Mit den raumplanerischen Vorgaben der inneren Verdichtung soll das Bauvolumen und damit die Gebäudehöhe möglichst vollständig ausgenutzt werden. Aufgrund der unsicheren Geländedefinition ist die zulässige Firsthöhe oft zweifelhaft. Diese Unsicherheit, einhergehend mit zukünftigen Beschattungen und Sichtbehinderungen der Nachbargrundstücke, führen im Baubewilligungsprozess zu aufwändigen Einsprachen und Verzögerungen und damit zu einer Belastung für alle Beteiligten sowie der zuständigen Verwaltungsstellen.
Der zweite Weltkrieg und die anschliessenden Wiederaufbauarbeiten regten die Entwicklung von modernen Baumaschinen und damit auch flexibel einsetzbaren hydraulischen Baggern an. Damit begann die Ära der grossen Geländeverschiebungen beim Wohnungsbau. Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegsjahre und das Bevölkerungswachstum führten zu einem Bauboom. Ein wesentlicher Anteil des heutigen Wohnungsbestands in der Schweiz wurde in den 1950er bis 1970er Jahre erbaut. Diese Gebäude genügen den heutigen Anforderungen nicht mehr und werden daher nach und nach ersetzt. Folglich finden zunehmend mehr Bautätigkeiten auf bereits baulich verändertem Gelände statt. Um die maximal zulässige Bauhöhe auf einem solchen Baugrundstück einwandfrei festzustellen, muss die ursprüngliche Geländehöhe, also das «gewachsene Gelände» rekonstruiert werden. Der Fokus liegt dabei meist auf der Geländeform vor 1960.
Im letzten Jahrhundert lag der Fokus des Vermessungswesens auf der Erstellung der (militärischen) Landeskarten und der Sicherung des Grundeigentums durch die amtliche Vermessung. Beide Vermessungswerke enthalten bis heute keine detaillierten Höheninformationen.
Erst um die Jahrtausendwende wurde die Erfassung von flächendeckenden Höhendaten mittels LiDAR-Technologie kostengünstig möglich. Während die LiDAR-Geländemodelle sich für Planung und Realisierung von Neubauten etablieren konnten, sind sie in der Regel noch zu jung, um bei der Rekonstruktion des «gewachsenen Geländes» im Rahmen der oben beschriebenen Problematik herangezogen zu werden.
Als einzige flächendeckende und genügend gut aufgelöste Datengrundlage verbleiben die historischen Luftbildaufnahmen von sowohl der Landesvermessung als auch privaten Anbietern. Diese waren lange kaum zugänglich, da die entsprechenden Archive nur analog vorlagen, sprich auf Papier und Filmnegativen. Nach grossen Investitionen in die Digitalisierung dieser Archivschätze bietet die Swisstopo mit dem LUBIS-Viewer seit wenigen Jahren einen digitalen Zugang zu diesen historischen Bildern an.
Die erste flächendeckende Luftbildaufnahme der Schweiz erfolgte mit der sogenannten «Amerikaner-Befliegung» 1946. Einzelne Gebiete wurden bereits zuvor aufgenommen, vor allem über Städten. In den 1950er Jahren setzte die grossflächige Aufnahme von Luftbildern ein. Viele frühe Aufnahmen (wie die «Amerikaner-Befliegung») erlauben kaum Rückschlüsse auf die vorliegende Geländeform in der erforderlichen Genauigkeit, aufgrund ihrer Auflösung, der zu kleinen Bildüberlappung und den zu geringen Kontrasten.
Mit dem Wechsel zu moderneren, kostengünstigeren Filmnegativen konnte die Längsüberlappung zwischen den Bildern erhöht werden, zudem verbesserte sich der Kontrast und die Auflösung der Aufnahmen. Mit diesen liegen also, meist ab den 1950er Jahren, verwertbare Zeugen für das «gewachsene Gelände» vor. Dadurch kann zwar nicht bei allen, aber bei einer Grosszahl von Geländeveränderungen im Baugebiet schweizweit eine Rekonstruktion des ursprünglichen Geländes durchgeführt werden.
Beispiel für die Entwicklung der Bildqualität und der Bebauungsstruktur (Luftbilder: © swisstopo)
1931
1971
1946 «Amerikaner-Befliegung»
1994
1957
2021
Die Luftbilder werden von der Swisstopo mit Angabe einer sehr groben Koordinate des Bildzentrums geliefert. Präzise äussere Orientierungen fehlen, so dass eine neue Orientierung der Luftbilder durchgeführt werden muss. Um die Bilder mit genügender Genauigkeit in das Landeskoordinatensystem einzupassen, werden klar identifizierbare Objekte benötigt, welche heute und damals identisch sind. Die Identifikation solcher geeigneter Passpunkte stellt dabei eine aufwändige Arbeit dar: Welche Punkte blieben zwischen dem Aufnahmezeitpunkt des Luftbilds und heute unverändert? Meist handelt es sich dabei um Objekte auf den Dächern älterer Häuser. Die Koordinaten dieser Objekte können vor Ort aufgenommen oder aus aktuellen Daten bestimmt werden. Zusätzlich vorhandene Informationen, wie die Höhe von Fixpunkten und alte Geländeaufnahmen können für die Berechnung der Bildorientierungen von Nutzen sein.
Die Auswertung eines Geländemodells aus heutigen Luftbildaufnahmen kann mit modernen Programmen praktisch auf Knopfdruck durchgeführt werden. Dense Image Matching funktioniert aufgrund des hohen Bildrauschens und der fehlenden Farbinformation bei alten Schwarz-Weiss-Luftbildern nicht zuverlässig genug. Diese automatischen Matching-Prozesse führen zu sehr vielen Fehlmessungen oder erreichen keine ausreichende Punktdichte. Deshalb sind hier Erfahrung und menschliche Intelligenz eines geübten Stereo-Auswerters vonnöten. Häufig hilft die sorgfältige Auswahl der verwendeten Stereo-Bildpaare und eine Anpassung der Kontrastwerte, um mehr Details zu erkennen.
Unsere Stereoauswerter verwenden stets Bilder mit möglichst grossen Stereowinkeln (vereinfacht gesagt mit möglichst grosser Distanz zwischen den beiden Aufnahmezentren) um eine optimale Höhengenauigkeit abzuleiten. Zweifelhafte Höhen werden nach Möglichkeit in mehreren Bildpaaren kontrolliert. Die Messpunkte werden dort abgesetzt, wo die Interpretation des Bildes am eindeutigsten ist – es entsteht also keine gleichmässige Punktverteilung.
Die erreichbaren Genauigkeiten hängen stark von der Qualität des Bildmaterials ab. Folgende Parameter sind in der a priori Genauigkeitsabschätzung zu berücksichtigen:
Alle kameratechnischen Parameter haben sich im Laufe der Zeit verbessert, so dass über das Alter der Bilder schon eine gewisse a priori Genauigkeitsschätzung gemacht werden kann. Für Bilder aus den späten 1950er-Jahren kann von einer Höhengenauigkeit eines einzelnen Messpunkts von 50-70 cm ausgegangen werden (einfache Standardabweichung). Bei Bildern aus den 1990er Jahren reduziert sich diese Höhengenauigkeit auf 30-60 cm.
Die Interpretation der Auswertungen erfolgt meist flächenhaft, d.h. mittels Höhenkurven, Raster-Geländemodellen, Differenzmodellen etc., welche aus den einzelnen Messpunkten berechnet werden können. Aufgrund der günstigen Fehlerfortpflanzung zwischen einem Einzelpunkt und einer aus den Messpunkten berechneten Fläche, kann die Geländeform deutlich genauer als oben geschätzt angegeben werden. Bei Bildern aus den 1950er Jahren können wir Geländedifferenzen zu modernen LiDAR-Aufnahmen ab 100-150 cm signifikant nachweisen, d.h. wir erreichen eine flächenhafte Genauigkeit von unter 50 cm Standardabweichung.
Kleinere Geländeveränderungen können damit zwar nicht nachgewiesen werden, allerdings können Aufschüttungen (und Abgrabungen) von Terrassierungen mit einer Genauigkeit rekonstruiert werden, die meist deutlich höher ist, als die Schätzung vor Ort es erlauben würde.
Orthofoto von 1951 / 2022 (© swisstopo) sowie Differenzmodell zwischen diesen Jahren. Die Terrassierung des Geländes ist gut zu erkennen.
Mit den vorhandenen historischen Luftbildaufnahmen aus den 1950er bis 1990er Jahren kann in vielen Fällen das «gewachsene Gelände» mit einer genügenden Genauigkeit rekonstruiert werden. Häufig wird diese Formulierung der Baugesetzgebung bei der Baubewilligung zu wenig berücksichtigt, womit Einsprachen vorprogrammiert sind.
Bei der Flotron AG haben wir bereits etliche Auswertungen im Rahmen von Baueinsprachen oder sogar Gerichtsverfahren durchgeführt. Eher selten wurden die Auswertungen bereits für die Erteilung der Baubewilligung verlangt. Einzelne Gemeinden haben bei uns ein historisches Geländemodell über das gesamte Gemeindegebiet herstellen lassen. Dieses bildet die Ausgangslage für die Planung von Bauten und die Beurteilung von Baugesuchen, wo das «gewachsenen Gelände» eine Rolle spielt. Diese Planungssicherheit reduziert Kosten, Zeit und viel Streit.
Erfahrungen aus der Anwenderperspektive eines Vermessungsbüros:
Der Regierungsrat des Kantons Zürich beschloss im Jahre 2017 den neuen Begriff „Massgebendes Terrain“ in die Allgemeine Bauverordnung (ABV) des Kanton Zürichs einzuführen. Als „Massgebendes Terrain“ gilt der natürlich gewachsene Geländeverlauf (ohne Aufschüttungen und Abgrabungen). Seit diesem Zeitpunkt sind die Gemeinden gefordert, ihre Bau- und Zonenordnung (BZO) entsprechend zu harmonieren.
Eine Gemeinde am Zürichsee vollzog Ihre Teilrevision der Bau- und Zonenordnung im Jahre 2020 und führte dementsprechend den neuen Begriff des „Massgebenden Terrains“ ein. Dies bedeutete für uns als Vermessungsbüro ein Umdenken bei der Erstellung der Vermessungsgrundlagen für ein Bauvorhaben. Es sind nicht mehr die präzisen Höhenaufnahmen vor Ort, welche die entscheidenden Referenzen für die maximale Gebäudehöhe oder die Baumasse bilden, sondern es muss auf alte Grundlagen zurückgegriffen werden.
Bereits zu einem frühen Zeitpunkt wurden zusammen mit dem Bauamt mögliche Lösungsansätze für ein reibungsloses Bewilligungsverfahren gesucht. Die Corrodi Geomatik AG hat alsbald verschiedenste historische Grundlagen aufgearbeitet, um eine Datengrundlage zu schaffen. So wurden beispielsweise die Vermessungsfixpunkte der Neuvermessung von 1922 digitalisiert, die Höhenkurven der Siegfriedkarten 1880 und 1930 vektorisiert und historische Fotoaufnahmen der Gemeinde zusammengetragen.
Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass die vorhandenen Grundlagen für eine Gemeinde an einer Hanglage nicht genügen, um daraus das Massgebende Terrain in einer Genauigkeit abzuleiten, welche für ein Baubewilligungsverfahren notwendig ist. Das gilt für heute noch unbebaute und noch viel mehr für bereits bebaute Grundstücke, auf welchen ein Ersatzbau geplant ist. In den damaligen Baubewilligungsplänen wurde das Terrain meist nur in einer ungenügenden Genauigkeit abgebildet (z.B. zeigt das Terrain bei versetzten Fassaden keinerlei Abweichungen, obwohl das Terrain an den verschiedenen Fassadenebenen unterschiedliche Höhen aufgewiesen haben muss; verläuft das Terrain auf weiten Strecken bloss als gerade Linie ohne irgendwelche Gefällsbrüche; weicht je nach Fassade die Terrainhöhe an derselben Gebäudeecke voneinander ab). Immer wieder stimmt auch der Bezug zur Meereshöhe nicht oder es findet sich gar kein Bezug dazu. Das Terrain in der Umgebung der Gebäude ist zudem nur selten dargestellt und wenn, dann meist bloss in der Verlängerung der Fassadenfluchten.
Aus den genannten Gründen beschloss die Gemeinde, ein historisches Geländemodell flächendeckend über die ganze Gemeinde in Auftrag zu geben. Die Flotron AG wurde mit dem Auftrag betraut, geeignete historische Luftbildaufnahmen zu suchen und diese entsprechend aufzuarbeiten. Schlussendlich wurden die Luftbilder von swisstopo aus den Jahren 1951 und 1954 für die Aufarbeitung verwendet. Grosse Teile des Gemeindegebietes waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht überbaut und bilden somit den natürlich gewachsenen Boden ab.
Die Corrodi Geomatik AG erarbeitet im Auftrag der Planer die Datengrundlagen des Massgebenden Terrains auf Basis der historischen Höhenkurven 1951/54. Zusammen mit den historischen Vermessungsfixpunkten, den Siegfriedkarten sowie den historischen Fotoaufnahmen können Geländeveränderungen plausibel nachvollzogen werden. Selbst wenn ein Gelände zum Zeitpunkt der Flugaufnahmen bereits überbaut war, kann vielerorts anhand des natürlichen Geländeverlaufs der Nachbarliegenschaften das Massgebende Terrain manuell rekonstruiert werden (Anpassung des Höhenkurvenverlaufs). Alle Daten werden in einem Dokument zusammengetragen, sodass die Nachvollziehbarkeit für das Bauamt, die Planer sowie allfällige Rekurrenten gewährleistet ist. Die Praxis hat sich bis anhin auch bezüglich Planungssicherheit bewährt, zumal manuelle Anpassungen der Kurvenbilder mit dem Bauamt abgesprochen werden bevor die Zustellung an die Architekten/Planer erfolgt. In Rekursen werden die Daten zwar manchmal in Frage gestellt, jedoch vermochte noch kein Rekurrent plausiblere oder besser nachvollziehbare Höhenverläufe beizubringen.
Erwin Ruoss, Corrodi Geomatik AG